Das Öffentliche in Deutschland, was ist das? Ein Architekt denkt als Antwort auf diese Frage in der Regel an die Stadt. Denn die Stadt ist in unserer Kulturgeschichte der Ort der Gemeinschaft. Wir tragen eine Art von Idealbild einer universellen Metropole in unseren Köpfen mit uns herum, in der der soziale, politische und kulturelle Raum einer Gesellschaft mit dem Wohnort des Individuums und dem Standort der Wirtschaft in einem großen urbanen Organismus verschmilzt. Die Stadt mit all ihren Teilen ist in dieser Vorstellung sowohl das Abbild als auch das Modell unseres Zusammenlebens. Sie ist sowohl der Katalysator, durch den die res publica entsteht, als auch die Bühne, auf der sie sich entfaltet. Der physische Raum wird zum Gefäß des öffentlichen Lebens und zwischen gebauter Form und kollektivem Inhalt bestehen Synergie und gegenseitige Abhängigkeit.

An dem Schatten dieses historischen Modells messen wir auch heute noch die meisten Phänomene unserer städtischen Realität. Tatsächlich gibt es jedoch wesentliche Abweichungen, die ich mithilfe zweier weiterer Metonymien beleuchten möchte: Das Öffentliche ist ein Produkt der Öffentlichkeit, und mit Öffentlichkeit würde ich die Gesamtheit aller Umstände bezeichnen, die für das Wesen der Allgemeinheit von Bedeutung sind. Zur Öffentlichkeit würde man also zunächst die politischen, kulturellen, ethischen und sozialen Grundmuster des Zusammenlebens in einer Gesellschaft zählen, die im Wesentlichen in ihren Gesetzen, Ritualen und Institutionen verankert sind. Darüber hinaus gehört zur Öffentlichkeit in einer Demokratie eine vitale und kontinuierliche Debatte. Die Debatte ist der Motor der Demokratie, die öffentliche Mehrheitsmeinung ihr Treibstoff.

Das Öffentliche muss die öffentliche Meinung also als einen Bestandteil enthalten, sie sollte aber auch über das Bilden einer Mehrheit hinausgehen, denn, wie Adolf Arndt es 1961 formulierte: „Die [demokratische] Lebensweise beruht keineswegs allein auf Abstimmung […], sondern grundlegend zuerst auf Übereinstimmung hinsichtlich des Unabstimmbaren, welches […] die Möglichkeit des Zusammenlebens begründet und das Abstimmbare aussondert und zur Wahl frei gibt.“ [Adolf Arndt: Demokratie als Bauherr, erschienen in der Reihe Anmerkungen zur Zeit der Akademie der Künste, Bd. 6, Berlin 1961, S. 24]

Die öffentliche Meinung als solche ist spätestens seit dem Ende der Weimarer Republik in immer geringerem Maße im tatsächlichen Raum der Stadt lokalisiert, sie hat heute ihren Ort in den Medien gefunden. Diese neue Verortung der Öffentlichkeit hat ihren Themen zwar eine nie dagewesene Verbreitung ermöglicht, aber mit der gestiegenen Geschwindigkeit und Verfügbarkeit der Medien hat sich auch das Nachdenken, das Zustandekommen und das Wesen der Inhalte stark verändert. So ist in der Vielfalt des zur Verfügung stehenden Informationsangebots die Politik nur noch ein Thema unter vielen, das sich neben all dem anderen tagtäglichen sogenannten content behaupten muss.

Die Logik der Medienöffentlichkeit hat das Öffentliche mittlerweile in einer Art und Weise überschwemmt, dass sich nicht nur die Bürger, sondern auch die Politiker ihrer Schwerkraft kaum zu entziehen vermögen – ich werde darauf noch zurückkommen. Mit dem Aufstieg neuer Medien ging eine zunehmende Überlappung der Sphären des Privaten und des Öffentlichen einher. Mit dem Fernsehgerät werden die Nachrichten aus aller Welt auch in die intimste Situation fast jeder Wohnung hineingetragen, und umgekehrt sind sowohl Zeitungen, Fernsehen und Internet vermehrt zu Plattformen der Verbreitung auch privatester Details einzelner Individuen geworden. Die uns zur Verfügung stehende maximale Öffentlichkeit scheint eine Art von Inversion oder Entäußerung der Privatsphäre zu begünstigen, unter deren dicker Decke das Öffentliche manchmal kaum noch zu entdecken ist. Sie sind vertraut mit der Kritik von Richard Sennett, der die Tyrannei des Privaten als ein Symptom des Verfalls des öffentlichen Lebens beschreibt.

Was uns zu dem zweiten Begriff brächte, den ich zur Differenzierung einführen möchte, nämlich das öffentliche Leben. Mit dieser Kategorie ist die Interaktion zwischen Menschen in einer Gesellschaft gemeint, die nur im weiteren Sinne politisch ist, also das Wirtschaftsleben, Arbeitswelten, das Leben in Vereinen oder Religionsgemeinschaften sowie gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten, das Club- und Nachtleben, und soziale Kontakte jeder Art.

In unserem Idealbild von der europäischen Stadt fand das öffentliche Leben im öffentlichen Raum, also an spezifisch dafür geschaffenen öffentlichen Orten wie beispielsweise im Theater, im Stadion oder parallel und gleichzeitig mit den politischen und anderen Aktivitäten auf dem Forum statt und später dann auf der Piazza oder dem Boulevard. Heute sind die Orte des öffentlichen Lebens quasi endlos fragmentiert und so gut wie nicht mehr differenzierbar. Sie sind überall, auch in jeder Wohnung und – über das iPhone in meiner Jackentasche – dann eben nicht mehr nur in meiner Stadt, in Deutschland oder Europa, sondern potenziell auf dem ganzen Planeten. Aus dieser Perspektive ist das öffentliche Leben ein räumlich und zeitlich ununterbrochenes Kontinuum endloser Möglichkeiten, das die Städte, in denen wir leben, wie ein Stück veraltete Hardware erscheinen lässt, das die ungeahnten Möglichkeiten der neuesten Softwareentwicklungen in nervtötender Art und Weise lähmt und wirkungslos verpuffen lässt.

Das liegt allerdings auch daran, dass die Mehrzahl der klassischen Orte der Interkommunikation gegenwärtig von kommerzieller Nutzung besetzt und dominiert ist. Es scheint, als sei das Shopping beinahe das Einzige, was in unseren Innenstädten noch existieren kann. All die anderen Bestandteile öffentlichen Lebens werden zusehends an die Ränder und in die Nischen oder eben den virtuellen Raum verdrängt. Dazu kommt, dass es in vielen deutschen Großstädten klar erkennbare ethnische, kulturelle und religiöse Gemeinschaften gibt, die im öffentlichen Leben identifizierbare Untergruppen bilden und die Stadt quasi in viele Städte zerfallen lassen. Denn diese Gruppen entwickeln ihre eigenen Formen der Öffentlichkeit und ihre Beteiligung am öffentlichen Leben und am Öffentlichen der gesamten Gemeinschaft ist nicht unbedingt selbstverständlich. Was für die Mitbürger mit anderer Herkunft und Glaubensrichtung gilt, gilt natürlich in verschiedenen Formen auch für sozial divergierende Teile der Bevölkerung, ebenso wie für regionale Identitäten, um nur einige Faktoren fortschreitender Fragmentierung zu nennen.

All die unterschiedlichen Lebenssituationen und -vorstellungen in einem Begriff vom Öffentlichen zu subsumieren, scheint daher eher schwierig. Das Unabstimmbare, von dem Adolf Arndt sprach, über das eine Grundübereinkunft in der Demokratie bestehe, scheint immer weniger selbstverständlich zu sein. Umso wichtiger erscheint es aber auch, die Gemeinsamkeiten zu pflegen, die immer noch zwischen allen Menschen der Bevölkerung existieren oder Anlass und Gelegenheit zur gemeinsamen Identitätsbildung bieten. Diese Überlegung führt nun zu dem dritten Begriff, den ich anbieten möchte: dem öffentlichen Raum.

Unter öffentlichem Raum verstehe ich hier nur den buchstäblichen physischen Raum, der über den des Individuums oder der Familie hinausgeht. Also alles, was nicht Haus oder Wohnung und für jedermann frei zugänglich ist, wie Straßen, Plätze, Parkanlagen, Brachflächen, Teile der Landschaft, Verkehrseinrichtungen des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, aber auch Gebäude, die der Allgemeinheit gewidmet sind, wie staatliche Einrichtungen jeder Art, Sport- und Kulturbauten, Schulen, Universitäten, Gebäude der Staatsorgane, wie Polizei und Gerichte, bis hin zu den öffentlichen Verwaltungen, die zur Aufrechterhaltung und Förderung des Gemeinwesens benötigt werden.

Dieser öffentliche Raum wird von allen mehr oder weniger regelmäßig benutzt. Und obwohl er einen der wenigen gemeinsamen Nenner unserer polykulturellen und polyvalenten Gesellschaft darstellt, sehen die meisten in ihm in erster Linie eine technische Infrastruktur. So wie die Wasser- und Stromversorgung, die Fernheizung und Kanalisation zum selbstverständlichen Gerüst unseres Alltags geworden sind, sind die Außenräume unserer Städte in erster Linie Funktionsräume unserer zeitgenössischen Lebensstile, in denen der Verkehr, das Shopping, die Freizeit und Unterhaltung gleichermaßen abgewickelt werden.

Zugleich ist der öffentliche Raum aber auch der Horizont unserer Gesellschaft, ihr Spiegelbild und ihr wichtigstes Erkennungsmerkmal; so wie man am Erscheinungsbild ihrer Menschen und an der Küche ihrer Restaurants die Verfeinerung einer Kultur ablesen kann, so ist der öffentliche Raum ein Indikator des inneren Zustands einer Kommune. Dies gilt sowohl für den Blick von außen als auch den Blick nach Innen, denn der öffentliche Raum bildet auch den physischen Erfahrungshintergrund weiter Teile unseres Daseins, sozusagen die Matrize, in der die plastische Masse unserer Vorstellungswelten tagtäglich immer wieder zum Körper geformt wird. Auch heute noch gilt das Bonmot Winston Churchills, dass „erst Menschen Häuser bauen und dann Häuser Menschen“.

Insbesondere in einer Zeit, in der es zur gebauten Umwelt eigentlich keine Alternativen mehr gibt, wird klar, wie wichtig es ist, das Bewusstsein für die Qualität des öffentlichen Raums zu wecken und dieses wertvolle Gut zu pflegen. Es geht also eher um die Aufrechterhaltung einer Art von ästhetisch-atmosphärischer, also auf die sinnliche Wahrnehmung ausgerichtete Infrastruktur, die mit ihrem Reichtum den zunehmenden Verlust nicht kolonisierter Räume kompensiert und dennoch ursächlich mit ihren Aufgaben und ihrer Funk­tionstüchtigkeit verbunden sein muss.

Denn dies ist der Ort, an dem zwischen alltäglichen Verrichtungen das Erleben und der Austausch passiert, die zur Grundlage von Gemeinsamkeit und Identität werden können. Ich spreche hier nicht so sehr von dem inszenierten Erlebnis eines Popkonzerts oder einer Fußball-Fanmeile oder vom inszenierten Raum des Tourismus, sondern eher vom gemeinsamen Erlebnis des Alltags, also der Benutzung derselben Straße, derselben Verkehrsmittel, desselben Schwimmbads oder Spielplatzes. Natürlich kann man auch über ein gemeinsam erlebtes Event oder über die Erinnerung an die gemeinsam gehörte Popmusik, die gemeinsam gesehenen Fernsehserien oder über den Austausch in einem sozialen Netzwerk im Internet zu Gemeinsamkeiten kommen, aber nur der immer wieder erlebte physische Raum, der quasi subliminal tatsächlich mit der eigenen körperlichen Befindlichkeit verbunden ist, hinterlässt den nachhaltigen Eindruck, der dem Öffentlichen greifbare Gestalt gibt.

Nicht zuletzt ist der öffentliche Raum auch deswegen so wichtig, weil er die greifbare Manifestation eines Großteils unseres kulturellen Erbes enthält, das die Genealogie unseres Gemeinwesens erklärt und einen wesentlichen Teil des Öffentlichen ausmacht. Sie alle sind vertraut mit Aldo Rossis Lesweise der Stadt als einem Raum, der durch die Akkumulation der Artefakte vergangener Generationen zum Gedächtnis der Gesellschaft wird. Dies ist ja eine Betrachtung, die in Deutschland ein populäres Echo gefunden hat, wohl weil die Präsenz der Geschichte in diesem Land von besonderer Empfindlichkeit ist. Die Heftigkeit, mit der die Debatte um die Rekonstruktion von Gebäuden und von Städten in Deutschland allgemein geführt wird, scheint auf diese Sensibilität hinzuweisen. Die Tatsache, dass sich gerade auch die sogenannte Alt-68er-Generation in dieser Diskussion für die Konstruktion einer gewissen Kontinuität engagiert, hat ganz offensichtlich mit dem Verhältnis zwischen öffentlichem Raum und nationalem Selbstverständnis zu tun. Inwieweit es jedoch gelingen kann, mithilfe gebauter Bilder Inhalte am Leben zu erhalten oder zu rekonstruieren, ist natürlich eine Frage, die generell mit der Wechselwirkung von gebauter Form und Nutzerverhalten beziehungsweise Nutzerbewusstsein verbunden ist. Die Rekonstruktion eines Schlosses macht noch keine tragfähige politische oder kulturelle Tradition, die Anlage eines Bürgerforums noch keine mündigen Bürger. In beiden Fällen könnten aber Angebote gemacht werden, die längerfristig durchaus positive Effekte erzielen könnten, solange es klar ist, dass das Öffentliche nicht musealisiert werden kann. Das Öffentliche muss in einer Demokratie ein lebendiges Organ einer lebendigen Gesellschaft bleiben, immer wieder von Neuem definiert und entdeckt werden, sonst werden die Einwohner zu Touristen im eigenen Land.

Das Öffentliche ist also, um das Gesagte bis hierher zusammenzufassen, ein Grundbestandteil der Demokratie; Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, öffentliches Leben und öffentlicher Raum haben einen Anteil an diesem Öffentlichen. Die Öffentlichkeit scheint einer gewissen Schnelllebigkeit und Variabilität ausgesetzt, das öffentliche Leben ist von zunehmender Fragmentierung und Ortlosigkeit gekennzeichnet. Diese Situation lässt auch das Öffentliche nicht unbeeinflusst. Das „Unabstimmbare“, von dem Adolf Arndt als der Grundübereinkunft einer Gesellschaft sprach, ist eben doch nicht selbstverständlich, sondern ist immer wieder neu zu erklären und zu verhandeln. Der öffentliche Raum hat in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung, denn er bietet neben einer gemeinsamen Infrastruktur für divergierende Lebensstile auch einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, der identitätsstiftend bleibt. Seine Qualität muss die touristische Oberfläche durchdringen, seine Konstitution ist ein Indikator des inneren Zustands der Gemeinschaft und er betrifft jeden Einzelnen, denn der öffentliche Raum ist letztlich der Ort, an dem unsere Leben stattfinden.

Wenn sein Erhalt und seine Pflege in unserem Gemeinwesen von so hoher Wichtigkeit sind, so schließt sich als nächste Frage an, in wessen Händen denn dieser öffentliche Raum am besten aufgehoben sein mag. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft delegieren wir die individuelle politische Verantwortung weitgehend an Politiker. Wenn das Öffentliche ein politisches Thema ist, und das ist es zu weiten Teilen, wie wir jetzt herausgearbeitet haben, dann müssten sich doch auch die Politiker darum kümmern?

Politiker kümmern sich in meiner Erfahrung vor allem um die öffentliche Meinung, denn sie möchten gewählt werden. Unter ihnen Persönlichkeiten zu finden, die sich ernsthaft um das Unabstimmbare im Öffentlichen Sorgen machen, scheint schwierig. Dazu kommt, dass sowohl Kenntnis als auch Interesse nicht unbedingt vorauszusetzen sind, wenn es um den gebauten Raum geht. Wenn man sich für Momente interessiert, in denen dieses Thema in den letzten Jahren in irgendeiner Form zum Gegenstand der nationalen Debatte geworden ist, die der bereits mehrfach zitierten luziden und weitsichtigen Rede von Adolf Arndt aus dem Jahre 1960 ebenbürtig wären, so wird man lange suchen müssen. Auf nationaler Ebene ist die gebaute Umwelt in Deutschland ein nachgeordnetes Thema, wie es scheint. Wenn überhaupt, engagieren sich Politiker eher auf kommunaler und eventuell noch auf Landesebene, vielleicht weil die Beteiligten da näher am Geschehen dran sind und es möglicherweise offensichtlicher ist, dass Architekten nicht nur im Interesse einzelner Bauherren oder im Sinne eines immer wieder beschworenen übergroßen Egos handeln, sondern dass sie vielfach auf der Suche nach einem interessanten und interessierten Gesprächspartner sind.

Aus meiner eigenen Erfahrung würde ich bei Politikern diese Art der Gesprächsbereitschaft nicht unbedingt erwarten. Die Auseinandersetzung um das Öffentliche in der Baukultur passt nicht in die relativ kurzatmige und strategische Denkweise, die für zeitgenössische Politik typisch geworden ist. Darüber hinaus scheinen viele Akteure in der politischen Arena diese Auseinandersetzung für ein Gebiet zu halten, das man entweder mit einem am Alltag geschulten „gesunden Menschenverstand“ angemessen zu Leibe rücken kann oder das man besser ganz den Fachleuten überlässt.

Wenn nicht die Politiker, wie sieht es mit den Verwaltungen aus? Sind die Beamten der Baubehörden die Garanten des Öffentlichen in der Baukultur in Deutschland? Meine Antwort darauf wäre: Ja und Nein. Insbesondere in den großen und mittleren Städten hat der öffentliche Raum und das Öffentliche den städtischen Dezernenten oder Baudirektoren und ihren Teams sehr viel zu verdanken. Dass in Deutschland überhaupt eine Baukultur stattfindet, die international zumindest teilweise Beachtung findet, ist unter anderem dem Engagement von Menschen wie Christine Thalgott, Jörn Walter oder Regula Lüscher zu verdanken, die immer wieder hohe, auch persönliche Risiken eingehen, um Projekte voranzutreiben, die ohne ihre Vermittlung nie eine Chance hätten realisiert zu werden.

Im Prinzip ist die Verwaltung der wichtigste Sachwalter des Öffentlichen, den wir haben. Nicht nur, weil die öffentlichen Verwaltungen auch Bauherren der Bauvorhaben der öffentlichen Hand sind, sondern auch weil sie zumindest theoretisch nicht von Legislaturperioden und der öffentlichen Meinung abhängig sind. Sie sind die Fachleute, die die Politiker beraten sollen, und diejenigen, die die für das Öffentliche wichtigsten Projekte umsetzen. Der nachhaltige Blick auf das Ganze gehört zu ihren Kernaufgaben. Sie haben enormen Einfluss und ihre Arbeit ist von höchster Wichtigkeit. Eigentlich müssten hier die besten Köpfe der Republik zum Einsatz kommen. In den Verwaltungen müsste ein Geist der Exzellenz blühen, der sowohl die Politik als auch alle am Bau Beteiligten zu Höchstleistungen herausfordern müsste.

Die Realität sieht allerdings in meiner Erfahrung in vielen Fällen anders aus. Die Verwaltungskarriere gilt immer noch als die sichere Alternative für die weniger risikofreudigen Kollegen, und die Motivation, architektonische Höchstleistungen zu beflügeln, scheint im System nicht unbedingt verankert. Viele Behörden sind eher mit sich selbst als mit ihren Aufgaben beschäftigt und manche beamteten Architekten betrachten ihre freiberuflichen Kollegen eher als Weisungsempfänger oder gar Gegner, nicht notwendigerweise als ihre Partner. Obwohl ich auch von positiven Beispielen berichten kann, von einzelnen Leitfiguren, die ihre Aufgaben mit großer Verantwortung und Intelligenz verfolgen, scheint es mir prinzipiell nicht so, als ob das System die Initiative für eine exzellente Baukultur des Öffentlichen begünstigen würde.

Die diversen Versuche, die Abteilungen in ihrer Leistungsfähigkeit zu verbessern, haben tendenziell in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich ihre Rolle noch stärker nur auf die Einhaltung von Kosten und Terminen beschränkt hat. Dazu kommt das Protokoll der diversen Durchführungsvorschriften und das oberste Gebot, etwaigen Missbrauch von Steuergeldern verhindern zu müssen, was alles zusammen vielfach zu einer Kontroll- und Verbotsmentalität führt, die es schwer macht, noch positiv zu denken.

Dazu kommt, dass ähnlich wie an den deutschen Hochschulen die Unkündbarkeit von Beamten die Dynamisierung der Dienste blockiert. Wo eigentlich das Streben nach Exzellenz oberstes Leitmotiv sein sollte, verschwinden die inhaltlichen Zielsetzungen unter einem Berg von Protokollen und Aktenlagen, sodass man sich insbesondere angesichts schwindender Mittel manchmal fragt, ob wir uns den immer noch sehr großzügig dimensionierten Verwaltungsapparat, den wir in Deutschland haben, wirklich leisten wollen.

Wie gesagt, es liegt vielfach auch in der Hand des Einzelnen, aber man muss sagen, dass gerade progressive Individuen nach meiner Erfahrung immer wieder an Grenzen stoßen. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Verwaltungen ihrerseits wiederum von der Politik abhängig sind. Ich habe Projekte erlebt, da wurde der Begriff „politische Entscheidung“ wie eine Art höhere Gewalt verwendet, gegenüber der man ebenso ohnmächtig war wie gegenüber dem Wetter. Es wäre also zu überlegen, inwieweit man den Verwaltungen zusammen mit einer Verpflichtung zur Exzellenz nicht auch eine gewisse Unabhängigkeit und Eigenverantwortung zugestehen sollte, die ihnen ihrerseits eher das Gefühl der selbstbestimmten Partnerschaft vermittelt.

Flexiblere Arbeitsweisen, auch größere Durchlässigkeit zur Profession, ein Mehr an Inhalt und ein Weniger an Bürokratie würden der Baukultur und dem Öffentlichen die größten Dienste erweisen. Denn  trotz aller Kritik und aller Schwächen liegt meiner Meinung nach bei den Baubehörden in Deutschland im Augenblick mit das größte Potenzial für die Baukultur. Es kann nur unsere Aufgabe als freie Architekten sein, dieses Potenzial in einer inhaltlichen Debatte immer wieder einzufordern und positive Geister in den Diensten nach Kräften zu stützen.

Apropos Debatte: Die Medien, die viel zitierte vierte Macht im Staat, leisten, wie bereits gesagt, einen wesentlichen Beitrag zum Öffentlichen. Sie sind teils Reflektor und teils Quelle der öffentlichen Meinung und beeinflussen sehr wesentlich die Form und die Inhalte der Auseinandersetzung um das öffentliche Leben. Durch ihre enorme Verbreitung und aufgrund des so vielfältigen Angebots ist jedoch der Wettbewerb um die schwindende Aufmerksamkeit einer überforderten Öffentlichkeit extrem gestiegen. Um überhaupt wahrgenommen zu werden und aus der Flut der Informationen herauszuragen, bedarf es einer Art von Inhalten, die das Spektakel bedienen. Diese Notwendigkeit des Spektakulären ist ein Faktor, der sich wie ein Virus im Gewebe der Gesellschaft breit macht und längst angefangen hat, ihre DNA zu verändern.

Nur so ist es zu erklären, dass selbst in den seriösen Tages- oder Wochenzeitungen der Republik die hier angesprochene Diskussion über den öffentlichen Raum bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Abgesehen von den Immobilienseiten gibt es keine konti­nuierliche Debatte über die gebaute Umwelt, die der Omnipräsenz und Einflussgröße des Themas angemessen wäre. Die deutsche Öffentlichkeit erfährt von der Gestaltung ihrer Umwelt per Skandalberichterstattung, in der entweder von Stararchitekten oder Pfusch am Bau die Rede ist, von Hybris und/oder Versagen. Die wenigen Autoren, die sich konsequent und über Jahre hinweg mit der Materie auseinandersetzen, bekommen in ihren Feuilletons nur dann Platz eingeräumt, wenn sie über Aufsehen erregende Einzelprojekte berichten können. Die Materie ist zu komplex und scheinbar nicht sexy genug, um sich auf dem Marktplatz der Eitelkeiten behaupten zu können.

Was die Fachpresse betrifft, gab es in Deutschland eine große Tradition, und auch heute widmen sich seriöse Journalisten und Journale aktuellen und auch weniger populären Themen mit großer Ernst­haftigkeit. Allen ist jedoch der starke Wettbewerb, der damit verbundene finanzielle Druck und der Zwang zur Angleichung an die Logik der Massenpresse anzumerken. Es ist kein Zufall, dass immer mehr seriöse Publikationen durch Magazine ersetzt werden, bei denen der redaktionelle Teil nur noch einen durchsichtigen Vorwand für die Bewerbung von Bauprodukten bietet. Diese Vermischung von Marketing und Debatte führt zu einer verdoppelten Notwendigkeit spektakulärer Inhalte mit dem unappetitlichen Nebeneffekt, dass auch im generellen Diskurs unter Architekten vielfach zwischen einer wissenschaftlich inspirierten intellektuellen Auseinandersetzung und dem Self-Marketing kaum noch zu unterscheiden ist, dass die Wertesysteme bis zur Unübersichtlichkeit verschwimmen.

Dieses Prinzip der Vermischung oder des sogenannten Mash-up ist auch ein herausragendes Merkmal des Internets, dem größten Konkurrenten der „Gutenberg-Medien“, ein Forum ohne jegliche Redaktion, in dem Privates und Öffentliches, Intelligentes und Dummes, Haupt- und Nebensächliches, Vorbildliches und Verwerfliches nur einen Mausklick voneinander entfernt liegen. Im Internet ist jeder sein eigener Chefredakteur, der sich entweder entscheiden kann, das großartige und umfassende Informationsangebot, das hier zugänglich ist, für sich zu nutzen, oder sich der Schwerkraft des Spiel- und Konsumtriebs zu überlassen. Das Internet verfügt als solches über keinen Leitfaden, keine Moral oder Ethik, keine Handlungsstrategien.

Für das Öffentliche bietet seine außerordentlich aktive wie reaktive Macht dennoch großes Potenzial, denn der direkte demokratische Dialog war nie einfacher als dort, die Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung nie bequemer, direkter und wirksamer möglich. Umgekehrt war es nie leichter, sich aus dem öffentlichen Leben ganz zurückzuziehen, der öffentlichen Debatte aus dem Weg zu gehen und, wenn überhaupt, den sozialen Austausch in den virtuellen Raum zu verlegen. Wenn alle Kommunikationsbedürfnisse am Bildschirm erledigt werden könnten, dann wären die Räume unserer Städte tatsächlich nur noch Funktionsräume zweiter Klasse.

Beruhigenderweise ist jedoch zu beobachten, dass die virtuellen Welten des Internets wegen ihrer schier endlosen Möglichkeiten nicht nur faszinieren, sondern auch eine Angst verursachen, die den Wunsch nach der physisch wahrnehmbaren Affirmation der eigenen Existenz eher steigert. So wie die Globalisierung den Drang zur nationalen und regionalen Identität wieder stärkt, verursacht die Virtualisierung unseres Lebens auch ein Bedürfnis nach tatsächlich wahrnehmbarer Realität und Körperlichkeit.

Sollte es daran Zweifel gegeben haben, so zeigen all diese Phänomene – die virtuelle Kommunikation, die Versuchung des Rückzugs und der Wunsch nach Realität –, warum wir den öffentlichen Raum heute anders denken müssen als vor fünfzig Jahren. Und die Medien, deren Aufkommen teilweise für die Veränderungen mitverantwortlich sind, wären natürlich in der Lage, einen solchen Paradigmenwechsel proaktiv und auch kritisch zu begleiten. Diese Vorstellung würde allerdings eine Konzeption der Presse als einer Art unabhängiger moralischer Institution voraussetzen, von der wir selbst in den öffentlich-rechtlichen Anstalten eigentlich nicht wirklich ausgehen können. Solange keine wirkliche Betroffenheit zu erkennen ist, die dann wiederum in einen Bedarf für Berichterstattung münden könnte, herrscht das Gesetz des Spektakels, und es ist offensichtlich, dass dieses Gesetz die Architekturproduktion (wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft) wesentlich beeinflusst hat und beeinflusst.

Wie gehen diejenigen, die die Eingriffe in den öffentlichen Raum tatsächlich projektieren sollen, mit dieser Situation um? Wie gut ist das Öffentliche bei den Planern und ihren Auftraggebern aufgehoben? Das Bauen ist das Einrichten eines Individuums oder einer Körperschaft in der Umwelt im weiteren und engeren Sinne. Daher besteht zwischen dem einzelnen Projekt und dem öffentlichen Raum immer ein entscheidendes Abhängigkeitsverhältnis. Denn das einzelne Projekt wird in eine Umwelt hineingeplant, die mit seiner Erscheinung sozusagen erst entsteht. Alles, was wir als gebaute und natürliche Umwelt wahrnehmen, ist von Architekten oder Planern im weitesten Sinne geschaffen worden. Das Bild unserer Städte und Landschaften, das Bild des öffentlichen Raums ist letztlich das Palimpsest einer Vielzahl von Einzelprojekten unterschiedlicher Generationen.

Bauen ist also per Definition immer beides, die Erfüllung der Bedürfnisse einer spezifischen Bauherrenschaft, aber auch der Eingriff in den öffentlichen Raum. Architekten sind auch bei dem kleinsten Bauvorhaben immer an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gemeinschaft unterwegs; sie sind Treuhänder beider Interessengruppen, wobei nur mit einer ein unmittelbares vertragliches Verhältnis eingegangen wurde. Mit der anderen Partei besteht zumindest in Deutschland über die HOAI auch eine Übereinkunft, die einerseits den Berufsstand bis zu einem gewissen Grad vor dem Markt schützt, indem sie seinen Diensten, ähnlich denen von Ärzten, Rechtsanwälten oder Notaren, einen quasi gemeinnützigen Status zuweisen, andererseits aber zumindest implizit auch eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft formuliert, selbst wenn kein hippokratischer Eid geleistet werden muss. Inwieweit es den jeweiligen Akteuren gegeben ist, zwischen den Interessen ihrer beiden Treugeber zu vermitteln, von denen der eine ein Honorar bezahlt und der andere nur mit einem kategorischen Imperativ droht, will ich nicht beurteilen. Philip Johnson äußerte ja einmal in einem berühmten Interview, dass Architekten grundsätzlich Huren seien, und wer bin ich, dieser Legende des Architekturgeschäfts zu widersprechen?

Vergleichsweise unmissverständlicher ist in der Regel die Interessenlage von kommerziellen Bauherren. Selbst wenn sie natürlich mit ihren Projekten zur Stadt beitragen wollen, muss die oberste Priorität und Motivation ihres Handelns der zu erzielende Gewinn sein. Die Öffentlichkeit ist in diesem Szenario in erster Linie ein potenzieller Kunde, die Immobilie ist ein Produkt. Öffentlicher Raum ist eher eine Belastung und wird in erster Linie zu repräsentativen Zwecken eingesetzt. Obwohl man die öffentliche Meinung auf jeden Fall auf seiner Seite wissen möchte, sind die wirtschaftlichen Interessen der individuellen Organisation und die kollektiven Interessen des Öffentlichen in der Regel zuerst einmal unvereinbar. Und wenn sich in einem Public-Private-Partnership-Projekt eine öffentliche Institution der Logik des Marktes unterwirft, gewinnt sie möglicherweise kurzfristig an wirtschaftlicher Effizienz, verliert aber in der Regel ihren öffentlichen Charakter, es sei denn, ein Architekt macht es sich zu eigen, dem Öffentlichen in seiner Architektur zur Erscheinung zu verhelfen.

Doch wie macht man das? Wie sieht das Öffentliche aus? Worin liegt der Unterschied zwischen einem Bürogebäude für ein privates Unternehmen und einem Finanz- oder Arbeitsamt? Wie kreiert man Orte, die den sozialen Austausch fördern? Wie kann man die Qualität des öffentlichen Raums für die Vielfalt unserer Gesellschaften ertüchtigen? Wie manifestiert sich eine freiheitliche Demokratie, wie sieht soziale Marktwirtschaft aus, woran erkennt man die Fairness, die Würde, die Freiheit und die Autorität unseres Gemeinwesens? Dies sind offensichtlich Fragen, die bei jedem Projekt in geringerem oder größerem Umfang jedes Mal von Neuem gestellt werden müssen und die in unterschiedlichen Fällen unterschiedlich zu beantworten sind. Architekten müssen dabei sicherlich zuhören können; umgekehrt wäre die Gesellschaft gut beraten, die Intelligenz und das kreative Potenzial von Architekten einzufordern, es aber auch anzuerkennen und zu würdigen.

Eine ganze Reihe von Kollegen, zu denen ich mich auch zähle, haben vor etwa einem Jahr ein sogenanntes Klimamanifest mit dem heroischen Namen „Vernunft für die Welt“ unterzeichnet. In diesem Manifest verpflichtet sich die Architektenschaft gegenüber der deutschen Öffentlichkeit dazu, mit ihrem Tun auf eine nachhaltigere Gesellschaft hinzuarbeiten. Dieses Manifest, das vom Bund Deutscher Architekten ausging, ist ein freiwilliges Bekenntnis zu der Verpflichtung der Profession gegenüber der Gemeinschaft, ohne dass die Gemeinschaft jemals danach gefragt oder davon wirklich Kenntnis genommen hätte.

Sie ist ein gutes Beispiel für unser Selbstverständnis vom Architekten als Weltverbesserer, das uns seit der Moderne begleitet. Es wurde uns so in unseren Hochschulen gelehrt und so geben wir es auch heute noch an unsere Studenten weiter. Die ironischen bis sarkastischen Kommentare, die man zu diesem Manifest in der deutschen Presse lesen konnte, waren wiederum ein gutes Beispiel für den Unglauben, den dieses Selbstverständnis in weiten Teilen der Gesellschaft auslöst. Zu viele Fehler sind von Architekten gemacht worden, zu viele Mitglieder der Profession leben erkennbar nach kommerziellen und nicht nach idealistischen Prinzipien, und zu fest ist das Image in der populären Vorstellung verankert, dass der Architekt ein Künstler sei, der, unfähig zu jeglicher Kommunikation, nur am Gebäude als autarkem Werk interessiert ist – ein Vorurteil, das natürlich von einer ganzen Generation von Spitzenarchitekten bis heute auch immer wieder bestätigt worden ist.

Sind wir also nicht wirklich aufrichtig mit uns selbst, wenn wir unser Engagement um die res publica plakatieren? Versuchen wir uns mit der Illusion von der politischen und sozialen Relevanz unseres Berufs die schwindende Bedeutung eines Dienstleistungsgewerbes schönzureden? Sind wir einfach naive, gutgläubige Idealisten, die es nie gelernt haben, sich so auf dem Markt zu bewegen, wie der Rest der Welt das tut? Oder wird da tatsächlich versucht, eine Lücke zu füllen, die durch das Desinteresse und die Abwesenheit anderer Stakeholder entstanden ist?

Ich denke, vor allem im Zusammenhang dieses Konvents müssen wir wohl von der letzten Option als Arbeitshypothese ausgehen, aber bevor ich hier weiter spekuliere, sollten wir über den wichtigsten Teilhaber am öffentlichen Leben sprechen, denn das ist der Bürger. Wir sollten also auch die Frage stellen, wie er oder sie einen brauchbaren Advokaten des Öffentlichen abgeben kann. Bürger vergeben ihre Stimmen bei der Wahl und sie bilden das Quecksilber im Politbarometer, das den Kurs der Regierung jede Woche in die eine oder andere Richtung ausschlagen lässt. Dass Bürgerinitiativen kommunale und auch nationale Politik immer wieder tatsächlich beeinflussen können, ist eines der beruhigenden Symptome mit Blick auf den Zustand der Nation.

Was meine persönliche Erfahrung in der Diskussion um architektonische Projekte und den öffentlichen Raum betrifft, so ist die Auseinandersetzung mit Bürgern von den extremen Gegensätzen gekennzeichnet, die wir auch aus den Medien kennen. Sie traten entweder in Form von protestierenden Nachbarn, wütenden Leserbriefautoren oder maulenden Stammtischpolitikern auf, oder in Form von bewundernden Fans, die ihre Begeisterung und ihr Gefallen an einem gebauten Objekt zum Ausdruck bringen. In einzelnen Ausnahmefällen haben wir auch eine koordinierte und konstruktive Teilhabe von Bürgern an Planungsprozessen erlebt, wobei sich deren Beitrag am Ende dann doch zumeist auf die Wahrung von Partikularinteressen beschränkte, weniger auf eine grundsätzliche Verhandlung des Öffentlichen.

Ganz abstrakt verspricht man sich natürlich von der Initiative aufgeklärter und solidarischer Bürger sehr viel, tatsächlich stellt diese Diskussion für viele Mitbürger aber eine inhaltliche Herausforderung und unerwünschte Belastung dar. Für einen wirklich produktiven Austausch bedarf es eines Mediators, der erklärt, informiert, übersetzt und anregt. Die Erfindung der Rolle eines solchen professionellen Mediators könnte eine Reaktion auf die Transformation des Öffentlichen sein. Junge Kollegen verweisen die Profession hier durchaus auf neue Betätigungsfelder. Denn der öffentliche Raum bedarf der Diskussion – nicht nur im Sinne eines guten Projektergebnisses, sondern natürlich auch im Interesse der Aufrechterhaltung des zuvor beschriebenen Motors der Demokratie. Er ist eines der wenigen gemeinsamen Güter, an dem alle Menschen in diesem Land teilhaben, und die Diskussion um das Öffentliche würde den Gesprächsgegenstand sozusagen gleichzeitig entstehen lassen. Es gibt Anzeichen dafür, dass infolge der Finanz- und der Klimakrise der Bedarf an einer solchen Debatte tatsächlich so sehr zunimmt, dass nicht nur Bürger, sondern auch Medien und Politik wieder stärker daran teilhaben werden. Denn beide Faktoren werden das Öffentliche stark belasten: Immer mehr öffentliche Einrichtungen werden Wege finden müssen, sich über private Kassen zu finanzieren und damit das öffentliche Territorium privater Wertschöpfung preisgeben; und wenn die Klimaprognosen eintreffen, die im Augenblick diskutiert werden, werden sich auch daraus so drastische Einschränkungen für unsere Lebensweisen ergeben, dass die Betroffenheit zweifelsohne von allein steigen wird.

Eine heutige Debatte kann diese Entwicklungen vorwegnehmen oder zumindest vorbereiten, aber es scheint noch nicht so, als ob die gewünschte Teilnehmerbasis im Augenblick zu erreichen wäre. Wenn ich nur für meine eigene Gruppe sprechen soll, dann wäre es natürlich wünschenswert, dass sich Architekten und Planer ihres Status als Fachelite stärker bewusst würden und einerseits durch vorbildliches Handeln Zeichen setzen und andererseits mit einer hörbareren Stimme kommunizieren würden. Dies weniger aus Gutmenschentum, sondern ganz im konkreten Interesse am eigenen Überleben. Dabei können beide – Handeln und Kommunizieren – die verschiedensten Formen annehmen, denn man könnte sich Architekten nicht nur in der Rolle des Mediators, sondern auch in der des Managers, Bauherrenberaters und sogar des Politikers vorstellen. Schließlich sollten wir uns auch daran erinnern, dass wir selbst nicht nur Planer, sondern auch Bürger sind; auch Architekten können Aktivisten werden. Und wenn Architekten sich dafür entscheiden, als Fachleute oder als Bürger die Verantwortung für das Öffentliche lebendig zu halten, so sollten sie auch aggressiv für den dazu notwendigen politischen Einfluss kämpfen. Eine Akzeptanz der genannten Probleme und ein Zeichen der Unterstützung auf nationaler Ebene wäre der Anfang. Die Verpflichtung der Verwaltungen auf einen kompromisslosen Kurs zur Exzellenz wäre der nächste Schritt. Man könnte aufgeklärte Bauherren für gute Projekte mit einer Steuererleichterung, ähnlich der Denkmalschutz-AfA, belohnen und man müsste ganz sicherlich die Bundesstiftung Baukultur in einem Maße unterstützen, wie uns dies in Skandinavien, den Niederlanden oder Großbritannien vorgemacht wird.

Die Bundesstiftung Baukultur hat das enorme Privileg, sich nicht unbedingt der Logik des Spektakels fügen zu müssen, gleichwohl darf alles, was sie tut, niemals langweilig sein. Allerdings sollten wir uns von dem Gedanken verabschieden, alles gestalten und perfekt machen zu wollen. Das öffentliche Leben braucht keine Vordenker, gleichwohl es nicht sich selbst überlassen wird; es braucht Helfer, Moderatoren, Übersetzer, es braucht Pflege, Intendanz, Angebote. Denn letztlich geht es um die eingangs erwähnte Tradition der Polis. Wenn wir diese Vorstellung von der Stadt als Ort des Öffentlichen am Leben erhalten wollen, genügt es nicht, das Repertoire ihrer historischen Typologien zu bedienen. Wenn wir tatsächlich öffentliches Leben und öffentlichen Raum als Agenten des Öffentlichen pflegen und sie nicht dem Schlachtfeld wirtschaftlicher Interessen überlassen wollen, aus dem nur noch einzelne Attraktoren der Gemeinsamkeit hervorragen, müssen wir sie als Verhandlungsmasse in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung begreifen. Je mehr sich an dieser Auseinandersetzung beteiligen, desto besser.

 

Vortrag von Matthias Sauerbruch auf dem Konvent der Baukultur 2010, PACT Zollverein, Essen, April 2010. Veröffentlicht in Sauerbruch Hutton. Archive 2. Zürich: Lars Müller Publishers, 2016