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Die GSW-Hauptverwaltung in Berlin ist eine Assemblage aus fünf Baukörpern, die einen Büroturm aus den 1950er Jahren erweitert. Zur Fertigstellung noch ein Prototyp, verkörpert dieses Projekt beispielhaft das Paradigma einer ökologischen Architektur des 21. Jahrhunderts.

Die einzelnen Baukörper nehmen die charakteristischen Spuren der episodenhaften Entwicklung ihres städtischen Umfelds auf und machen sie sichtbar. Ein sanft geschwungener Riegel fasst den Straßenraum neu und bildet einen Sockel aus. Seine Anordnung und Höhe verweisen auf die frühere barocke Bebauung. Die schlanke Hochhausscheibe wirkt von Osten gesehen als Hintergrund für den bestehenden Turm, während sie nach Westen als eigenständiges Element im Stadtraum auftritt. Als kompositorischer Kontrapunkt balanciert auf dem östlichen Ende des Sockelbaus die ovale Pillbox, deren Höhe sich wiederum auf die Bebauung der Gründerzeit bezieht. In dieser Art retrospektiver Integration bindet das Ensemble den zuvor solitären Hochhausturm in die Stadtstruktur ein und erkennt das historisch entstandene Konglomerat Berlins als Strukturprinzip an.

Der schmale Grundriss der Hochhausscheibe nutzt das Tageslicht optimal aus und gewährleistet die Querlüftung der Büros. Raumhohe drehbare Blenden aus perforiertem Metall bestimmen die gesamte Westfassade und bieten effektiven Sonnenschutz. Diese sind in einem Fassadenzwischenraum angebracht, der zugleich als Konvektionsschacht fungiert und eine natürliche Belüftung in den Hochhausetagen ermöglicht. Ein aerodynamisch geformtes Winddach unterstützt dieses System zusätzlich. Die verschiedenen Abstufungen von Rosa, Orange und Rot der Sonnenschutzblenden machen das Gebäude weithin erkennbar. Die individuell bedienbaren Elemente reagieren auf tägliche und saisonale Veränderungen und lassen dabei immer wieder neue Farbkompositionen entstehen. Auf diese Weise bebildert die Westfassade einerseits die ökologischen Aspekte des Gebäudes, wird aber darüber hinaus zu einem sich stetig wandelnden kinetischen Bild.

© Reinhard Görner

Um die Geschichte des Grundstücks in der Kochstraße zu verstehen, muss man die Geschichte von Berlin kennen. Die Stadt hat seit 1700 eine extrem wechselhafte Abfolge unterschiedlicher Ideen erlebt, die ihre Struktur geprägt haben. Die barocken Stadterweiterungen der nördlichen und südlichen Friedrichstadt wurden im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert zum „steinernen Berlin“ verdichtet. Die Bombardements von 1945, der Wiederaufbau in Ost und West, der Einschnitt der Mauer und die Internationale Bauausstellung in den achtziger Jahren führten zu der Stadtgestalt, die wir zu Beginn dieses Projektes hier vorfanden. Die Gleichzeitigkeit der Spuren vieler Entwicklungsstadien weist die Friedrichstadt in besonderem Maße als eine reichhaltige Landschaft aus, die die soziale, kulturelle und politische Geschichte der Stadt und ihrer Bevölkerung verkörpert.

Essay

Hanns Zischler

Das gesamte Grundstück wurde als kontinuierliche öffentliche Fläche betrachtet, auf der sich „Teppiche“ befinden, die zum Verweilen einladen. Zur Markgrafenstraße hin ein Hain mit Platanen, zur Charlottenstraße eine Holzterrasse mit Stufen und Bäumen. Die Eingangshalle ist als überdachter
Straßenraum konzipiert.

Die Fassade des Flachbaus ist analog zu seiner liegenden, massiven Gebäudeform in einem schweren Material ausgeführt. Terrakottaplatten in einer graphitfarbigen Glasur wurden speziell für dieses Bauvorhaben entwickelt und angefertigt.

© bitterbredt.de

Die Hochhausfassaden sind die wichtigsten baulichen Elemente des Niedrigenergiekonzepts. Ein hoher Glasanteil erlaubt maximale Tagesbelichtung. Über Sonnen- und Blendschutz wird Wärme- und Lichteinlass
geregelt; durch Ausbildung von Pufferzonen in den doppelten Glasschichten verfügen sie über einen relativ hohen Transmissionswärmewiderstand. Die Ostfassade mit ihren porenhaften Zuluftöffnungen funktioniert wie eine glatte Haut; die Westfassade gleicht mit ihrer Tiefe und der Auflösung in gestaffelte Schichten einem Fell. Alle flexiblen Elemente der Fassade sind mit einem zentralen Steuerungssystem verbunden und individuell von jedem Arbeitsplatz aus steuerbar. Durch diese Steuerung verändert sich das Bild vor allem der Westfassade kontinuierlich.

© Annette Kisling
© bitterbredt.de

Die „Pillbox“ ist ein vieldeutiger Körper: Die Rundform, aus mehreren Radien zusammengesetzt, verändert ihren Charakter, je nachdem aus welcher Richtung man sie betrachtet. Ihre vielfarbige Haut unterstützt den Eindruck eines sich nach verschiedenen Seiten veränderten Objektes. Während sie von Norden gesehen fett und lastend auf dem Dach des Flachbaus aufliegt, balanciert sie von Süden und Osten gesehen prekär auf der Kante, scheinbar im Widerspruch zur Schwerkraft.

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© Annette Kisling

Die Eingangshalle ist der öffentliche Ort des Hauses, von dem aus die Gebäudeteile einzeln identifizierbar und zugänglich sind. Darüber hinaus bietet sie Raum für Ausstellungen und andere Veranstaltungen. Am zentralen Punkt der Halle, von allen Seiten einsehbar, leuchtet blau der Tresen der Rezeption.

Der Flachbau an der Kochstraße ist als Straßen-Gebäude für Läden (im Erdgeschoss) und Gewerbe (im 1. und 2. Obergeschoss) geplant worden. Eine zweigeschossige, tagesbelichtete, interne „Straße“ von der aus die
Büroflächen betreten werden, gibt ihm auch im Innern öffentlichen Charakter.

© Annette Kisling

Aufgabe

  • Erweiterung und Sanierung eines bestehenden Bürohochhauses

Bauherr

  • GSW Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbau-
    Gesellschaft Berlin mbH

Daten

  • Bruttogeschossfläche: 48.000 m²
  • Wettbewerb: 1991, 1. Preis
  • 1995 — 1999

Auszeichnungen

  • MoMA Architecture Collection
  • Bauphysikpreis 2003
  • Benedictus Award 2003
  • Mies van der Rohe Award 2001, Finalist
  • Deutscher Architekturpreis 2001, Anerkennung
  • World Architecture Awards 2001, Nominierung
  • Architekturpreis Beton 2001, Lobende Erwähnung
  • Deutscher Fassadenpreis 2001 VHF
  • Architekturpreis 2000, BDA Berlin
  • ar+d Award 2000, Besondere Auszeichnung
  • RIBA Award 2000
  • Stirling Prize 2000, shortlist
  • BREEAM DE Zertifizierung "sehr gut"

Projektteam