Holz ist der Baustoff des 21. Jahrhunderts für eine Stadt, die zu ihrer eigenen Rohstoffquelle wird.

 

Seit 30 Jahren bemühen wir uns bei Sauerbruch Hutton um eine nachhaltigere Architektur, die den Planeten mit einem leichten (CO2) Fußabdruck berührt. Zunächst konzentrierten wir uns vorwiegend auf Konzepte zur Schonung fossiler Brennstoffe im Betrieb eines Gebäudes, da diese „Rote“ Energie den größten Anteil in einem nachhaltigen Lebenszyklus auszumachen schien.

Heute sind viele der Faktoren, die zu hohem Verbrauch und Emission führten, durch intelligente Planung und Technologie stark reduziert worden. Deshalb richtet sich unsere Aufmerksamkeit mehr und mehr auch auf die „graue Energie“, die in den Materialien eines Bauwerks eingebettet ist.

Dieses Interesse hat uns dazu geführt, in zunehmendem Maße Holz als wesentliches Baumaterial in unseren Projekten zu berücksichtigen, und heute denken wir, dass Holz das Material des 21. Jahrhunderts sein könnte.

Die Umstellung der Bauindustrie von Stahlbeton auf Holz birgt das Potential der Verringerung von CO2 Emissionen im Hochbausektor von bis zu einem Maximum von 80%[1]. Bei gleichzeitiger Neupflanzung von Nutzwäldern würde der Atmosphäre darüber hinaus weiteres gasförmiges CO2 entzogen und ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung des Treibhauseffektes geleistet werden.

Ähnlich wie Wälder würden Städte, die aus Holz gebaut sind, große Mengen von CO2 sequestrieren1. Kommt die nützliche Lebenszeit eines Gebäudes zum Ende, kann das Holz gut wiederverwendet, recycliert oder im ungünstigsten Fall zu Energie und Holzkohle verwandelt werden. Dabei entsteht nicht mehr CO2 als der Baum einst absorbiert hat.

Noch weniger CO2 als bei der Errichtung eines Holzhauses entsteht allerdings, wenn gar nicht mehr gebaut wird.

Wenn es gelingt, bestehende Gebäude für neue Bedarfe nutzbar zu machen, kann das Ziel der Unterbringung einer (funktional wie energetisch) optimierten Nutzung auch mit vergleichsweise geringeren Folgen für das Klima erreicht werden.  Auch das ist ein Paradigmenwechsel, wenn die Stadt selbst zur erneuerbaren Rohstoffquelle wird.

Wenn wir als Architekten Teil der Lösung sein wollen, müssen sich diese Veränderungen zwangsläufig auch in unserer Arbeit wiederfinden: Das Reparierte, das Patchworkartige, das Vieldeutige und Unvollständige werden zu gestalterischen Prinzipien, denn nur die nachgiebigen und anpassbaren Materialien, Prozesse und Denkmuster können in der VUCA[2]-Welt überleben. Wie in der japanischen Ästhetik des Wabi-Sabi muss das Fehlerhafte eine neue Wertschätzung erfahren. Wie beim Kintsugi der dazugehörigen Reparaturtechnik für Porzellan, die den Makel des Bruchs zu goldverbrämtem Schmuck verwandelt, imaginieren wir eine Stadt deren sinnliche und immer neu zu entdeckende Vielfalt aus den Taktiken des Ergänzen und Modifizieren hervorgeht. 

Holz, das traditionelle Material einfacher Zweckbauten, wird mit Hilfe moderner Materialtechnik und digitaler Fertigungsmethoden zur heroischen Substanz urbaner Vielseitigkeit nobilitiert. Von der repetitiven Modulstruktur bis zum freigeformten skulpturalen Raum begünstigen Holzkonstruktionen stets eine angemessene Ökonomie der Mittel. Darüber hinaus bietet das Material sinnliche, organische Oberflächen, die ihre Endlichkeit, nämlich die Spuren des Alterns durch Gebrauch und Verwitterung, mit Würde tragen. Es entsteht -neben der Erfüllung ökologischer Notwendigkeiten-  auch die  Möglichkeit, Orte zu stiften, die bei aller Veränderbarkeit des urbanen Lebens dem menschlichen Wunsch nach Aufgehobensein grundlegend gerecht werden können.

 

[1] Churkina at al: Buildings as a global carbon sink, Jan 2020 (https://www.nature.com/articles/s41893-019-0462-4)

[2] VUCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe volatility, uncertainty, complexity und ambiguity. Die Abkürzung entstand in den 1990er Jahren am US Army War College und diente zunächst dazu, die multilaterale Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben.

 

 

Dieser Text entstand als Teil eines Beitrags zur Ausstellung urbainable/stadthaltig an der Akademie der Künste, Berlin, 2020